Die Seminarturnhalle war coronabedingt mit über vierzig Gästen gut besetzt. Die Fachleute auf dem Podium wurden mit einem warmen Applaus begrüßt: aus der Praxis Annette Gutsfeld, ehemalige KiTa-Leiterin und Expertin für Fortbildung und Qualitätsentwicklung in diesem Bereich, Andreas Gubernatis, aktuell Leiter einer KiTa in Buxtehude sowie von gewerkschaftlicher Seite Dr. Elke Alsago, Referentin des ver.di-Bundesvorstandes in Berlin und dort Ansprechpartnerin für die Ausbildung von KiTa-Beschäftigten. Die Politik repräsentierte unter anderem Kai Koeser, Vorstandsvorsitzender des SPD-Ortsvereins in Stade und aktuell Kandidat für den Deutschen Bundestag sowie Svenja Stadler, seit 2013 SPD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages, unter anderem Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Den Landkreis Stade vertrat Björn Protze, seit 2016 SPD-Mitglied des Kreistages, seit 2019 dort Fraktionsvorsitzen-der seiner Partei.
Die Moderation übernahm die Vorsitzende der ASF im Unterbezirk Stade, Sigrid Richter. Sie ging zunächst auf die enormen Anstrengungen in diesem Bereich ein: fast 55 Milliarden € Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für den KiTa-Bereich allein im Jahr 2019 mit einer Steigerung gegenüber 2009 von über 100 %, bundesweit 57.600 KiTa-Einrichtungen mit 682.900 Beschäftigten bezogen auf 2020. Sie berief sich dabei auf das Statistische Bundesamt. Dennoch bestehe aktuell eine Versorgungslücke in allen Altersgruppen der KiTa-Betreuung. Nach einer gerade veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung werde sich dieser Mangel in den nächsten Jahren noch verschärfen. Die Studie prognostiziere eine Lücke von mehr als 230.000 Erzieherinnen und Erziehern bis 2030.
Ein historischer Abriss von Annette Gutsfeld verdeutlicht die Ursachen, die zum einen in einer stärkeren Berufstätigkeit von Frauen mit verstärktem Anspruch auf Ganztagsbetreuung und zum anderen in erhöhten Anforderungen hinsichtlich eines qualifizierten Bildungsauftrages mit integrativen Elementen wie Sprachförderung zu finden seien. Dies erfordere in jedem Fall immer mehr Personal und vor allem auch qualifizierteres Personal. Andreas Gubernatis bestätigte diese Einschätzung aus seiner aktuellen Praxis und ergänzte, dass diese Personalsituation Ausfälle durch Krankheit, Urlaub oder Schwangerschaft kaum verkrafte, gewünschte Elterngespräche nur schwer zulasse sowie Bindungs- und Bildungsarbeit in den Hintergrund dränge. Kai Koeser ergänzte aus seinen Erfahrungen als Vater von zwei kleinen Pflegekindern, dass diese Personalsituation bei seiner jüngsten Tochter bereits im ersten Jahr zu einem zweimaligen Wechsel des gesamten Betreuungsteams geführt habe, was für ein Kind in diesem Alter verheerend sei. Auch wünsche er sich für berufstätige Eltern flexiblere Betreuungszeiten und für Kinder mit speziellen Bedürfnissen ganz besonders eine fach-kundige Betreuung.
Svenja Stadler stellte dazu noch einmal die Initiativen des Bundes für einen stabilen Anspruch berufstätiger Eltern auf einen Krippenplatz seit 2013 heraus, die Bedeutung des sogenannten „Gute-KiTa-Gesetzes“, das seit 2019 für eine Gebührenentlastung von Eltern bzw. für mehr Qualität und frühkindliche Bildung sorge und über 2022 hinaus verlängert werde, die Unterstützung des Bundes zur Ausbildung von Fachkräften sowie das Bundesprogramm für Sprach-KiTas. Sie machte jedoch auch deutlich, dass aufgrund des Föderalismus die Zuständigkeiten eindeutig bei den Ländern und den Kreisen liege. Die Einmischung des Bundes bei entsprechender finanzieller Unterlegung sei allerdings durchaus willkommen. Sie betonte noch einmal die Wichtigkeit einer gesellschaftlichen Wertschätzung sowie einer Schaffung von Aufstiegschancen für die KiTa-Beschäftigten.
Björn Protze beurteilte die Lage bei Krippen und KiTas im Landkreis Stade momentan als recht gut. Sein Hinweis auf eine unzureichende Bezahlung der Tagesmütter und -väter wurde mit einem spontanen Applaus bedacht. Die Hortbetreuung von Grundschulkindern sei in Stade zurzeit nicht gewährleistet. In KiTas wünsche man sich die dritte Fachkraft; hierfür fehle jedoch aktuell das Personal. Für die Ausbildung werden in der Berufsbildenden Schule (BBS) in Stade regel-mäßig zwei Klassen angeboten, von denen jedoch immer wieder nur eine Klasse zustande käme. Er wünsche sich eine 3-jährige Basisausbildung mit anschließen-der Spezialisierung für weitere 1-2 Jahre. Die Ausbildung müsse vergütet wer-den, eventuell auch als duales Studium. In Stade sei die Situation relativ komfor-tabel, es gebe Stipendien für Quereinsteiger und sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten. Kleinere Kommunen mit weniger Geld könnten sich dies jedoch nicht leisten.
Dr. Elke Alsago ging schließlich auf die bundesweit unterschiedlichen Ausbildungswege ein, unterstützt durch eine Powerpoint-Präsentation. Dabei wurde deutlich, dass es hinsichtlich der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern keine einheitlichen Standards gebe und man von einer zuverlässigen Ausbildungsvergütung noch weit entfernt sei. Teilweise müssten die Teilnehmenden für ihre Ausbildung noch Geld mitbringen. Man habe eine bunte Ausbildungslandschaft, in der jedes Bundesland für sich experimentiere. Dieser Zustand sei mit Blick auf den Fachkräftemangel unhaltbar. Sie stellte daraufhin einen Entwurf der Gewerkschaft ver.di vor, nach dem die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher in eine bundeseinheitliche dualisierte Ausbildung überführt werden solle mit klar geregelter Ausbildungsvergütung, gesetzlich verankerter Kostenfreiheit auf Basis abgeschlossener Ausbildungsverträge mit den jeweiligen KiTa-Einrichtungen. Sie betonte dabei, dass das gegenwärtige Qualifikationsniveau, welches mit dem Bachelorabschluss vergleichbar sei, erhalten bleiben müsse. Die sozialpädagogische Bildungsarbeit in Kitas und der Kinder- und Jugendhilfe sei anspruchsvoll und brauche sehr gut qualifiziertes Personal.
Dieser Entwurf fand in einer anschließenden Diskussion mit dem Publikum, in dem sich auch viele KiTa-Beschäftigte befanden, breiten Zuspruch. Durch eine gezielte Auswahl der Auszubildenden über die KiTa-Einrichtung, so wie auch in anderen Ausbildungsberufen üblich, könnten nicht nur Qualifikationsstandards gehalten, sondern die KiTa-Einrichtungen in ihrer Rolle als ausbildende Institutionen auch aufgewertet werden. Hierfür sei allerdings ein Bündnis aus Bund, Ländern, Arbeitgebern und Gewerkschaften nötig. Kai Koeser, dazu gefragt, meinte, dass hierfür dicke Bretter zu bohren seien, er dies aber durchaus für möglich halte. Daraufhin stellte Sigrid Richter abschließend fest, dass in der Podiumsdiskussion für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern ein gutes „Päckchen“ geschnürt wurde, das nun Svenja Stadler, Kai Koeser und Dr. Elke Alsago mit auf den Weg nach Berlin gegeben werden solle. Sie bedankte sich bei allen Beteiligten für die lebhafte Diskussion.
Bericht von Sigrid Richter
Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Unterbezirk Stade & Bezirk Nord-Niedersachsen