Sprache als Instrument

Unsere Sprache hat die Macht nicht nur Bilder in unseren Kopf zu zaubern, sondern sie zeigt auch, wie wir in einer Gesellschaft zusammenleben und wie solidarisch wir mit Minderheiten sind. Sprache kann für Gleichberechtigung sorgen. Elena Brückner gibt in einem Gastbeitrag einen Überblick: Was ist das Gendern überhaupt und warum wir geschlechtergerechte Sprache nutzen sollten.

Ein kleines Kind streckt die Zunge raus, Sprache als Instrument
Sprache als Instrument Bild: titoikids auf Pixabay

Liebe Leser:innen,

wenn Sie bei dieser Anrede zusammengezuckt sind, sich eventuell belästigt gefühlt haben, ja vielleicht sogar etwas Wut in sich haben aufsteigen fühlen, dann ging es Ihnen wie mir vor einigen Monaten. Unweigerlich formierte sich sofort das Bild meiner ehemaligen Religionslehrerin im Kopf, wie sie um die Salzstreuerin bat. Gedanken wie „ich kann es ja auch nicht allen rechtmachen“ waren beim Thema geschlechtersensibler Sprache meistens am lautesten.

Was mein jüngeres Ich damals noch nicht verstanden hat, ist, dass unsere wunderbare Sprache nicht nur die Macht hat, Bilder in unsere Köpfe zu zaubern, sondern dass wir durch sie leider auch verletzen und ausgrenzen können. Sprache zeigt wie wir in einer Gesellschaft zusammenleben und ob wir uns Minderheiten gegenüber solidarisch zeigen, indem wir sie ein- und nicht ausschließen. Sprache kann für Gleichberechtigung sorgen.

Alle sind gleich wichtig – Gendern bringt das auf den Punkt

Gendern, also die geschlechtergerechte Sprache, ist das Sichtbarmachen von nicht-binären Menschen, die sich selbst aus vielen verschiedenen Gründen nicht den als klassisch empfundenen Geschlechterrollen (Frau und Mann) zuordnen.

Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes im Oktober 2017 und entsprechender Änderung im Personenstandsgesetz gibt es neben weiblich und männlich nun mit „divers“ eine weitere Eintragsoption, welche alle nicht-binären Geschlechterrollen zusammenfasst.

Diese Vielfalt zeigt sich nun – einige Jahre später – auch endlich in der Sprache, denn für die etwa 16000 nicht-binären in Deutschland lebenden Menschen ist Sichtbarkeit die Voraussetzung, um überhaupt am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen.

Das generische Maskulinum

In unserer patriarchalisch geprägten Gesellschaft ist es üblich, das generische Maskulinum zu nutzen. Grammatisch männliche Personen- oder Berufsbezeichnungen, die auch eine weibliche Wortform haben, werden bei dieser Methode in einem verallgemeinernden, generischen Sinne verwendet.

Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Chor, der sich aus nur einem Mann und 99 Frauen bzw. non-binären Personen zusammensetzt, besteht aus 100 „Sängern“. Die Bezeichnung Sänger schließt also nicht nur den einen Mann mit ein, sondern „alle anderen auch“.

Reflektieren sollten wir nun, ob es reicht alle anderen einfach nur mitzumeinen, aber nicht explizit aufzuzählen. Fühlen sich dabei überhaupt alle Personengruppen angesprochen und gesehen?

Warum das generische Maskulinum nicht ausreicht

Vater und Sohn haben einen Unfall, bei dem beide verletzt werden, der Junge sogar so schwer, dass er operiert werden muss. Im Krankenhaus angekommen wird er sofort in den Operationssaal gebracht. Alles ist vorbereitet, doch dann wird der Chirurg nach einem Blick auf den Patienten blass und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“.

Dieses kleine Beispiel hat mich zum Nachdenken angeregt und dazu gebracht meine Einstellung zu überdenken. Warum ist die offensichtliche Lösung so schwer erfassbar? Natürlich ist eine Möglichkeit, dass der Junge zwei schwule Väter hat, aber erst deutlich später wurde mir klar, dass mit Chirurg auch genauso gut Chirurgin und somit die Mutter des Kindes gemeint sein kann. Die zahlreichen anderen Facetten der Geschlechterrollen habe ich damals noch nicht einmal bedacht.

Sprache schafft Realität

Beide Beispiele zeigen recht deutlich, dass wir zu der Transferleistung, zu welcher uns das generische Maskulinum auffordert, nicht immer und auch nicht allumfänglich fähig sind.

Genau deswegen sollten wir uns aber auch folgende Frage stellen: Wenn das generische Maskulinum schon nicht bei Erwachsenen den gewünschten inklusiven Effekt hat, was hat es für Auswirkungen auf unsere Kinder? Denn ganz offensichtlich hat Sprache einen Einfluss darauf, was wir uns vorstellen können und somit sogar darauf was wir für normal halten.

Zahlreiche Studien haben sich mit diesem Thema beschäftigt, unter anderem zeigt eine Studie der Freien Universität Berlin (Vervecken, D., & Hannover, B. (2015). Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy): Wenn Berufe in einer geschlechtergerechteren Sprache dargestellt werden, also sowohl die männliche als auch die weibliche Form genannt wird (Ingenieurinnen und Ingenieure statt Ingenieure), schätzen Kinder traditionell eher männlich angesehene Berufe als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen. Überraschenderweise galt dies sowohl für Jungen als auch Mädchen.

Lasst uns also unseren Kindern mitgeben, dass sie jeden Beruf unabhängig von ihrem Geschlecht ausüben können. Dies können wir nicht nur durch liebevolle Bekräftigung erreichen, sondern auch gerade durch die bewusste Art und Weise wie wir Sprache nutzen. Denn, wenn wir ehrlich sind, denken wir weder bei Polizist, noch bei Lehrer oder bei Wissenschaftler als erstes an nicht-binäre Menschen und Frauen, die diese Berufe durchaus auch ausüben.

 

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Autorin:

Elena Brückner