Von Solidarität, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit

Auch in diesem Jahr unterstützt die SPD Stade wieder mit der Spendensammelaktion "Ein Teil mehr" die Arbeit der Stader Tafel. Wir üben damit ganz praktische Solidarität mit Menschen in Not. Das gehört zu unserem Selbstverständnis als Sozialdemokrat*innen. Wir erleben auch immer einen enormen Zuspruch aus der Bevölkerung, erkennbar an der unglaublichen Spendenbereitschaft. Kistenweise wurden die Lebensmittel in diesem Jahr abtransportiert. Die Staderinnen und Stader haben damit ein starkes Zeichen des Zusammenhalts gesetzt. Wir sagen aber auch: lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass wir die Tafeln bald nicht mehr brauchen in einem gerechteren und solidarischerem Land.

Elena Brückner mit den Spenden für die Stader Tafel
Bild: SPD Stade

Solidarität in Zeiten der Krise

Die aktuelle Krise stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen: gesellschaftlich, sozialpolitisch und wirtschaftlich. Unternehmen, Vereine, Institutionen sehen sich einer großen wirtschaftlichen Bedrohung ausgesetzt. Andererseits erleben wir auch eine enorme Solidarität, im Großen wie im Kleinen. Dies geht von der allgemeinen gegenseitigen Rücksichtnahme bis zu ganz konkreter nachbarschaftlicher Hilfe für besonders gefährdete Personen. Und das trotz Abstandsgebot und Kontaktbeschränkungen.  Dies erstreckt sich aber auch bis auf die europäische Solidarität mit finanziell besonders gebeutelten EU-Staaten. Wir erleben hier ganz konkret, dass Solidarität über Gerechtigkeit hinauswirkt. Solidarität macht unsere Gesellschaft freundlicher und lebenswerter. Sie vermittelt Sicherheit und Verlässlichkeit. Sie schafft Empathie für das Leben anderer und verbietet, diese zum Instrument eigener Interessen zu machen.

Bild: SPD Stade
 

Solidarität als sozialdemokratischer Grundwert

In der sozialdemokratischen Tradition ist Solidarität zunächst einmal das Füreinander-Einstehen von Mitgliedern der Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Es ging also um den gemeinsamen politischen und sozialen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Es ging aber aber immer auch ganz konkret um gegenseitige Hilfe für unverschuldet notleidende Genossinnen und Genossen. Solidarität geschieht in diesem Verständnis unter Gleichen. Unsere Gesellschaft und das politische System haben sich seitdem geändert. Unser moderner Sozialstaat fängt grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger auf und soll Not verhindern. Seine Leistungsfähigkeit erleben wir gerade in der Krise. Gleichzeitig sind wir uns alle der Schwächen unseres Sozialsystems bewusst. Hier gilt es zu handeln: politisch durch eine Weiterentwicklung unseres Sozialstaates. Aber die ganz konkrete Hilfe für unverschuldet notleidende Mitbürgerinnen und Mitbürger steht ganz klar in dieser sozialdemokratischen Tradition.

Von Solidarität und Barmherzigkeit

Solidarität geschieht heute gesamtgesellschaftlich unter Gleichen. Den Obrigkeitsstaat haben wir hinter uns gelassen. Das sozialdemokratische Prinzip der Solidarität finden wir in unserem Sozialstaat wieder, der Solidarität eben nicht an der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe festmacht. Sie steht damit aber nicht im Gegensatz zur Barmherzigkeit des Christentums, bei der von sozial oder wirtschaftlich Stärkeren den Schwächeren Hilfe geleistet wird. Eine Veränderung der ungleichen Verhältnisse strebt diese grundsätzlich erst einmal nicht an. Sozialdemokratische Solidarität geht einen Schritt weiter und erhebt den Anspruch, Ungleichheit gesamtgesellschaftlich zu überwinden. Auf Barmherzigkeit hat man keinen Anspruch. Auf Solidarität haben alle Bürger*innen in diesem Land – und darüber hinaus – einen Anspruch. Dies ist der grundlegende Unterschied. Trotzdem kann und muss man in der Zwischenzeit Mildtätigkeit oder auch „Nächstenliebe“ üben, um konkrete Not zu lindern. Darüber muss sicherlich das grundsätzliche Ziel der Überwindung dieser Not stehen und vor allem muss jede Hilfeleistung auf Augenhöhe unter Gleichen geschehen. Die Hilfeempfangenden dürfen also nicht zu passiven Objekten gemacht werden, die ihr Leben nicht selbstbestimmt gestalten.

 

Den Sozialstaat reformieren

Doch genau um diese Selbstbestimmtheit von Menschen muss es uns dabei gehen. Ihre Forderung nach Gerechtigkeit müssen wir hören. Natürlich muss dafür der Sozialstaat reformiert werden. An zu vielen Stellen tut er zu wenig gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit.

  • Wir brauchen ein neues System der Grundsicherung. Kinder gehören dabei grundsätzlich nicht in das Grundsicherungssystem für Arbeitssuchende.
  • Das Recht auf Wohnen muss umgesetzt werden. Dabei brauchen wir eine soziale Durchmischung von Quartieren, Stadtteilen und Dörfern.
  • Wir brauchen Investitionen in die soziale Infrastruktur wie Schulen, Schwimmbäder, ÖPNV und müssen den Zugang zu diesen für alle Kinder sicherstellen, um gleiche Chancen zu eröffnen und Armut langfristig wirksam zu bekämpfen.
  • Wir müssen die Situation von Pflegebedürftigen und Pflegenden – Angehörigen wie Fachkräften – verbessern. Pflege darf nicht zum Armutsrisiko werden.
  • Um Altersarmut zu bekämpfen brauchen wir die Grundrente und müssen unser Rentensystem stärken und auf alle Erwerbstätigen ausweiten. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen abgebaut werden.

Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit (spd.de)

Grundsätzlicher Politikwechsel notwendig – mit anderen Mehrheit

Für mehr Gerechtigkeit, für mehr Solidarität braucht es aber einen klaren Politikwechsel. Wir müssen vom angebotsorientierten Neoliberalismus und Sparzwang wegkommen. Wenn eine ganze Volkswirtschaft spart, zerstört sie ihre Wachstumspotenziale – und in der aktuellen Krise ihre Chancen auf Erholung. Der Neoliberalismus moralisiert wirtschaftliche Probleme – von Einzelpersonen, Kommunen und ganzen Staaten gleichermaßen – in dem er allein auf die Eigenverantwortung setzt. Wenn wir uns moralisch erheben über die Kundinnen und Kunden der Stader Tafel, wenn Bayern den Länderfinanzausgleich in Frage stellt, wenn finanzstarke EU-Staaten über südeuropäische „Schuldenstaaten“ sprechen, dann zerstört dies die Solidarität. Wir brauchen einen klaren Politikwechsel. Hierfür braucht es aber andere Mehrheiten im Bundestag. Die Wählerinnen und Wähler haben es im September 2021 in der Hand. Sie können Solidarität wieder stärken. Wie wollen wir hier in Stade leben? Wie wollen wir in diesem Land leben? Wieviel Zusammenhalt brauchen wir? Unser Ziel muss es sein, dass die Tafeln im ganzen Land wieder überflüssig werden. Das ist unser Auftrag, bis dahin gilt es aber auch weiterhin, Solidarität zu zeigen und Menschen in Not zu unterstützen. Die Erfahrungen dieses Jahres sollten uns den hohen Wert gesellschaftlichen Zusammenhalts auf Augenhöhe gelehrt haben.

Autor: Kai Koeser, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Stade, SPD-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Stade I – Rotenburg II

https://www.kai-koeser.de/