Corona trifft uns alle, praktisch alle Lebensbereiche, fast alle Branchen haben mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen. Besonders hart getroffen hat es die Gastronomie und die Lockerungen der letzten Wochen bringen auch nur einigen Betrieben Erleichterung. Das sieht man auch daran, dass etliche trotz behördlicher Erlaubnis noch nicht wieder geöffnet haben, weil die Umsetzung der Schutzmaßnahmen einen wirtschaftlichen Betrieb unmöglich machen. Kenner* der Branche rechnen mit bis zu 40 % Schließungen von gastronomischen Betrieben aufgrund von Corona. Die Pleitewelle wird sich voraussichtlich noch bis in das kommende Jahr hinziehen. Das mögen manche als „Marktbereinigung“ betrachten. Sicherlich wird es wohl zuerst die Betriebe treffen, die schon vor Corona in Schwierigkeiten waren, die keine Rücklagen bilden konnten. Doch auch wirtschaftlich gesunde Betriebe sind aktuell in akuter Gefahr. Für Bars und Diskotheken ist noch nicht absehbar, wann sie wieder öffnen können. Welcher Unternehmer kann schon Rücklagen für einen unvorhersehbar langen Zeitraum anlegen? In den Innenstädten fehlen wegen Home-Office die Geschäftsleute zum Mittagstisch, Tagestouristen kommen kaum, Busreisen sind noch nicht wieder gestattet. Ohnehin ist fraglich, wann diese wieder gewinnbringend durchgeführt werden können, da diese Zielgruppe zu den Haupt-Risikogruppen gehört. Überhaupt kommen die Gäste noch nicht wieder so richtig zurück. Gleichzeitig bricht plötzlich das vielfach angebotene Außer-Haus-Geschäft nach den ersten Restaurantöffnungen wieder weg. Besonders dramatisch stellt sich die Situation für die Landgasthöfe im Umland dar: die Schützenfeste wurden abgesagt, Konfirmationen verschoben, Hochzeiten auf Eis gelegt. Wann das Geschäft mit Familienfeiern wieder anlaufen kann? Keiner weiß es! Noch gelten die Personenbegrenzungen, das Abstandsgebot, Tanzen ist nicht möglich. Fraglich ist schon, wie viele 80. Geburtstage dieses Jahr wohl groß gefeiert werden können? Werden die Feuerwehr- und Erntebälle stattfinden? Corona kam genau zu der Zeit im Jahr, in dem das Geschäft nach der Jahresanfangspause wieder anzieht. Für viele dieser gastronomischen Institutionen wird das Jahr 2020 eine Nullnummer sein. Das kann wohl kaum ein Unternehmen auffangen. Wenn dann auch noch gerade Kredite aufgenommen wurden, um für Zehntausende Euros das Restaurant, die Küche oder Hotelzimmer zu renovieren, dann kann auch der beste KfW-Kredit nicht mehr helfen. Auch der muss zurückgezahlt werden. Eine solche zusätzliche Belastung zerschlägt den vorsichtigsten Unternehmern den besten Wirtschaftsplan. Eine „Marktbereinigung“ ist das nicht mehr. Das kann eine Katastrophe für unsere Innenstädte und den ländlichen Raum werden.
Rettungsschirm für die Gastronomie
Insofern ist es richtig, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) laut Spiegelbericht einen Rettungsschirm auch für die Gastronomie schaffen will. Im Rahmen des großen Bundes-Konjunkturpaketes sollen Gastronomen (aber auch z.B. Kulturschaffenden) Ausgleichszahlungen für verlorenes Einkommen gewährt werden. Berechnungsgrundlage soll der durchschnittliche Verdienst der letzten Jahre sein. https://www.spiegel.de/wirtschaft/konjunkturpaket-familienbonus-einkommensersatz-fuer-gastro-und-kultur-a-00000000-0002-0001-0000-000171037325 Somit würden vor allem die Betriebe profitieren, die vor Corona gut dastanden. Das ist richtig so. Sicherlich sollten nicht Milliarden Steuergelder dafür aufgebracht werden, den langsamen Tod von nicht-funktionierenden Geschäftsmodellen zu verhindern. Doch wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass es auch nach Corona noch eine gute Gastronomie gibt, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Nicht nur weil über 2,4 Millionen Menschen im Gastgewerbe arbeiten. Nicht nur weil fast 52.000 junge Menschen dort ihre Ausbildung machen, um die sich übrigens später mal weltweit die besten Restaurants und Hotels reißen ob er der Qualität der deutschen Berufsausbildung. https://www.dehoga-bundesverband.de/zahlen-fakten/ Essengehen ist Genuss und Lebensfreude, wie auch Musik, Kunst und Theater. Die Restaurants, Bars und Kneipen bringen Leben auch in die Stader Innenstadt. Die Landgasthöfe sind Orte der Begegnung, wo oftmals alles andere längst geschlossen hat. Die Schützenfeste und Feuerwehrbälle sind wichtiger Bestandteil der sozialen Infrastruktur im ländlichen Raum. Und wo sollen wir unsere Familienfeiern stattfinden lassen, wenn es keine Gastronomie mehr gibt? Wer hat denn schon Platz für 20 Personen am Esszimmertisch?
Experten gehen davon aus, dass der Trend in der Gastronomie nach Corona zu mehr Regionalität, mehr Nachhaltigkeit gehen wird. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Gleichzeitig fürchte ich aber, dass die Pleitewelle vor allem die inhabergeführten Betriebe treffen wird, wo der Chef bis morgens um zwei mit hinterm Tresen steht und die Chefin selber den Müll auf dem Parkplatz aufsammelt. Die großen internationalen Ketten, die uns kulinarischen Einheitsbrei aus der Tüte und schlechten teuren Kaffee vorsetzen, die werden Corona überleben. Steuern zahlen die ja meist eh nicht oder wenn, nicht hier bei uns. Aber was für ein freudloses Leben wäre das, was für triste Innenstädte mit den immergleichen Läden. Die müssen wir nicht retten. Der Interessensverband des Gaststättengewerbes DEHOGA fordert nach der teilweisen MwSt-Angleichung auf 7% weiterhin einen Rettungsschirm für die Branche. Wenn wir auch in Zukunft gastronomische Vielfalt wollen, wenn wir verantwortungsvolle Gastronomen unterstützen wollen, wenn wir unsere Innenstädte und Dörfer lebendig halten wollen, dann wird daran wohl kein Weg vorbei führen.
Bedingung fürs Hilfszahlungen: verantwortungsvolle Gastronomie
Für mich muss diese Hilfe aber an Bedingungen geknüpft sein: Geld darf in nur in wirtschaftlich gesunde Unternehmen fließen und wir sollten die unterstützen, die ihrer unternehmerischen Verantwortung auch gerecht werden. Immer wieder wird von Corona als Chance gesprochen. Ich habe selber viele Jahre im Gastgewerbe gearbeitet, ich kenne die Branche. Darum wünsche ich mir, dass die Gastronomie tatsächlich diese Chance nutzt. Bei viel zu vielen Betrieben ist vieles im argen. Da werden altgediente Mitarbeiter in den Bankettbetrieb abgeschoben, Beschäftigte müssen ständig erreichbar sein (Dank App kann der Chef dann sogar sehen, ob die Nachricht gelesen wurde), es wird kräftig Schwarzgeld gemacht, der Mindestlohn umgangen, von Tariflöhnen ist gar keine Rede und die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten werden nicht eingehalten. Wer seine Beschäftigten die geforderten Corona-Hygieneschulungen in der Freizeit machen lässt, also unbezahlt, wer mit einem solchen Menschenbild sein Unternehmen führt, den will ich mit meinen Steuergeldern nicht retten.
Ischgl, Heinsberg und jetzt Leer zeigen, dass auch der Corona-Virus die Angebote der Gastro-Branche zu nutzen weiß. Hier hat die Gastronomie natürlich eine Verantwortung. Ob die Ausbrüche hätten verhindert werden können? Ich weiß es nicht! Ich weiß aber, dass die verantwortungsvollen Gastronomen und Hoteliers sich auskennen mit Hygieneverordnungen und auch für die Beschäftigten dies seit Jahren ihr tägliches Handwerk ist. Alle Lockerungen sind sicherlich mit großer Vorsicht und einem genauen Blick auf die Infektionszahlen voranzutreiben und die Gastronomie muss mit guten und auch tatsächlich nachhaltig umgesetzten Schutzkonzepten für Gäste und Personal zeigen, dass unser Vertrauen gerechtfertigt ist. Dann kann man auch darüber diskutieren, ob die Wiedereröffnung nicht eher von den Hygienemaßnahmen und z.B. einer verantwortungsvollen Personalbemessung abhängig sein sollte, als von der Betriebsart. Vielleicht kommen ja manche Bar- oder Diskothekenbetreiber mit genialen Konzepten um die Ecke (Disco in Einzelkabinen oder Silent-Disco unter freiem Himmel). Warum sollte das Wellnesshotel sein Spa nicht wieder öffnen dürfen, wenn doch die Freibäder in die Saison starten dürfen, sofern bauliche und betriebliche Voraussetzungen ein Hygienekonzept ermöglichen. Das sollten wir sicherlich nicht langfristig generell ausschließen.
Wertschätzung für die Gastronomie
Die Zeit ganz ohne Gastronomie hat uns alle hoffentlich deren Angebot mehr wertschätzen lassen. Diese Wertschätzung muss aber auch für die Beschäftigten gelten. Sie haben ein anständiges Grundgehalt und faire Arbeitsbedingungen verdient. Wer in Kurzarbeit gehen muss, in Elternzeit oder Rente geht, wer krank wird, der merkt plötzlich, dass sich ein geringer Lohn und die Abhängigkeit von Trinkgeldern irgendwann rächen. Hier ist die Branche gefragt. Hier muss umgedacht werden. Hier ist aber auch die Kundschaft gefragt. Denn höhere Gehälter, mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen, bessere Produkte, all das kostet und schlägt sich am Ende im Preis nieder. Wirkliche Wertschätzung zeigen wir dann, wenn wir bereit sind, auch tiefer in die Tasche zu greifen.
Nicht nur aus Loyalität meinen alten Kolleginnen und Kollegen gegenüber sage ich, dass wir alle möglichen Anstrengungen unternehmen sollten, um eine vielfältige, verantwortungsvolle Gastronomie zu retten. Sie macht unsere Städte und Dörfer, unser Leben ein wenig lebenswerter. Die vielen Gastronominnen und Gastronomen, die gemeinsam mit ihren Beschäftigten mit viel Schweiß und Herzblut ihre Läden betreiben haben unsere Unterstützung verdient. Wenn die Branche dann noch ein wenig nachhaltiger und „besser“ wird, dann ist das nur zu begrüßen. Dann wären alle Anstrengungen zur Rettung gerechtfertigt.
Konjunkturprogramm für ein attraktives Stade
Neben etwaigen Hilfen von Bund und Land muss aber diskutiert werden, welche Maßnahmen wir hier vor Ort ergreifen können. In Berlin oder Hannover ist es am Ende egal, wie das gastronomische Angebot in Stade aussieht. Den Staderinnen und Stadern sollte das aber nicht egal sein. Aus eigenem Interesse, aber auch um die Stadt und Region als touristisches Ziel und Wohnort attraktiv zu halten. Auch vor Ort werden wir Maßnahmen ergreifen müssen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, um Gastronomie, Kultur, Tourismus und Einzelhandel zu unterstützen. Corona wird das Erscheinungsbild unserer Innenstädte verändern, hierauf müssen wir auch vor Ort reagieren. Hier können flexiblere Lösungen für die Außengastronomie – unter Wahrung aller berechtigten anderer Interessen, wie Lärmschutz und Freihaltung von Rettungswegen – eine Hilfe sein. Am Ende werden wir aber auch schlicht Geld in die Hand nehmen müssen. Es wird ein Konjunkturpaket für Stadt und Landkreis Stade brauchen, damit die Region attraktiv und zukunftsfähig bleibt. In Zeiten der Krise muss man halt gutes Geld zum Fenster rausschmeißen, damit es zur Tür wieder reinkommt.
Und gleichzeitig kann jede und jeder von uns etwas tun für die heimische Gastro-Szene: verschiebt Eure Feiern und sagt sie nicht ab, macht zumindest Pläne fürs kommende Jahr und füllt die Auftragsbücher, kauft Gutscheine und bestellt weiterhin außer Haus und nutzt das aktuelle Angebot! Lasst Euch nicht abschrecken von Schnutenpullis und Plexiglasscheiben! Und seine Adresse und Telefonnummer zu hinterlassen ist ja auch nicht wirklich eine Zumutung. Spätestens wenn das Foto vom Essen auf Facebook hochgeladen ist, weiß ja sowieso die halbe Welt, was man wo mit wem gegessen hat.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in dem Text überwiegend die männliche Sprachform verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.