Kommentar: Ostmarkstraße in Stade

Ein persönlicher und öffentlicher Kommentar des Fraktionsvorsitzenden Kai Holm zur Diskussion um die Umbenennung der Ostmarkstraße in Stade:

Die in Diskussion stehende Umbenennung der Ostmarkstraße bewegt seit Wochen viele Gemüter in Stade. Ein Antrag der CDU dazu wurde im Kulturausschuss nach sachorientierter, wertschätzender Diskussion knapp abgelehnt. Die Redebeiträge waren Beispiel gegenseitigen politischen Respekts vor Meinungspluralität, Perspektiven wurden gewechselt, sich in Andersdenkende hineinversetzt. 

Alle Mitglieder im Rat der Hansestadt Stade eint die Einschätzung der Nazidiktatur als unverzeihliches Verbrechen an der Menschheit. Viele kluge Menschen haben sich in den letzten Wochen geäußert, geschichtliche Zusammenhänge beschrieben, Verbrechen angeklagt oder ganz einfach an Moral appelliert. Das muss hier nicht wiederholt werden. Wo die Meinungen auseinandergehen: Wie sich in diesem präzisen Fall, nämlich der einen Bezeichnung Ostmarkstraße seit nunmehr 81 Jahren, mit einer belasteten Vergangenheit auseinandersetzen? Eine Möglichkeit wäre, Namen ausradieren und verschwinden lassen, als hätte es das Alles nicht gegeben. 

Eine andere Variante und unsere Ansicht als Fraktion, genauer 11 von 12 Mitgliedern, hat sich nach vielen Debatten wie folgt dargestellt: Namen belassen, ein Mahnmal errichten und mittels würdigen Textes erklären, aufklären, einen Ort des Gedenkens und der Mahnung schaffen. Geschichte nicht schleifen, sondern aus ihr lernen und zu gemahnen: Nie wieder Diktatur!

Und kann es falsch sein, bei dieser Frage die Anwohnerinnen und Anwohner zu fragen, ihre Meinungen in die Überlegungen einzubeziehen? Sie sind es, deren Adressen seit Jahrzehnten so lauten und Erinnerungen an ihr Leben, ihre Straße damit verbinden – wirklich über deren Köpfe hinweg entscheiden? Darf Kommunalpolitik nicht mehr das Ohr am Bürger haben? Die CDU hat jedenfalls nach der knappen Ablehnung im Kulturausschuss ihren Antrag als abgearbeitet bezeichnet und nicht weiter verfolgt. Die Grünen haben sich flugs den erledigten CDU-Antrag zu Eigen gemacht und in die Ratssitzung vom 16.12.2019 eingebracht. Es folgte also erneute Diskussion und letzten Endes eine Abstimmung, in der jedes Ratsmitglied die Möglichkeit hatte, sich frei zu äußern sowie abzustimmen. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit entschied sich der Rat dann für Beibehaltung des Namens, Errichtung des Mahnmals und Erarbeitung eines Textes.

Abschließend ein paar Worte zu den Erlebnissen der letzten Wochen: Vorwürfe der Tagespresse an die SPD-Fraktion, wir würden unsere Kulturausschussvorsitzende mundtot machen. Natürlich hatte keiner vorher mit Franziska Scheschonk darüber gesprochen, man hätte nämlich genau das Gegenteil von ihr hören können. Dann auch im gleichen Kommentar noch der Vorwurf hingetrickster Mehrheiten, ungenügender demokratischer Umgangsformen sowie den Hinweis auf SPD-Opfer der Naziherrschaft – die ganz große Keule von Unfairness! So gingen dann auch die Gespräche auf der Straße weiter, sofern das Gegenüber sich für eine Namensänderung stark machte. Unsere SPD wurde in die Nähe einer Toleranz der Naziverbrechen gerückt. Es wurde mit Parteiaustritten gedroht, alle Verbindungen seien zu kappen. Höhepunkt: Der Gedenkstein könne gleich für mein eigenes Grab Verwendung finden.

Kurzum, kein Zeichen von Toleranz, Meinungsfreiheit oder Respekt vor dem Standpunkt des jeweils Andersdenkenden. Stattdessen offen Aggression, Wut und Intoleranz wegen Meinungsunterschieden zu dieser einen Namensbezeichnung der Ostmarkstraße. Und das auch und gerade von Menschen, die ansonsten sehr viel Wert auf ihre eigenen Befindlichkeiten legen – es war für mich eine ernüchternde Zeit. Wenn den Bewohnern der Ostmarkstraße wegen ihres Standpunktes zur Beibehaltung des Namens Ähnliches widerfahren ist, kann ich den Unmut und das Entsetzen dazu sehr gut nachempfinden.

Unsere Fraktion hat nach ausführlichen Diskussionen jedenfalls weiterhin mit 11 von 12 Mitgliedern ihren Standpunkt zur Beibehaltung der Bezeichnung Ostmarkstraße und gleichzeitiger Errichtung eines Mahnmals mit erklärendem Text. Wir stehen trotz aller Anfeindungen dazu, ebenso zur Freiheit jedes einzelnen Mitglieds des Rates, zur persönlichen Überzeugung zu stehen und öffentlich abzustimmen. Das ist gelebte Demokratie, auf die wir auch ruhig mal stolz sein dürfen.

 

Kommentar von Kai Holm
(SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Stade, SPD-Fraktionsmitglied im Kreistag Stade)